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Details zur italienischen Grammatik - Italian Grammar Notes


Hier finden sich Artikel in deutscher und englischer Sprache zur italienischen Grammatik, die ich für die Facebook-Seite von www. impariamolitaliano.com geschrieben habe.

Here you can find articles about Italian Grammar in German and English written for the facebook page of  www.impariamolitaliano.com.

Qui trovate articoli sulla grammatica italiana in lingua tedesca e inglese che ho scritti per la pagina Facebook di www.impariamolitaliano.com.

Aquí trobeu articles sobre la gramàtica italiana en llengua alemanya i anglesa que vaig escriure per a la pàgina Facebook de www. impariamolitaliano.com.



1. Die bestimmten und unbestimmten Artikel

Die italienische Sprache hat – im Unterschied zur deutschen – nur zwei Genera (männlich und weiblich), aber – anders als z.B. das Französische – drei bestimmte Artikel: la für das weibliche, il und lo für das männliche Geschlecht. Vor Wörtern, die mit Vokalen beginnen, wählt man (in der Einzahl) jeweils die apostrophierte Form von lo bzw. la (l’). Ob man in einem konkreten Fall il oder lo verwendet, hängt von dem Anfangsbuchstaben des nachfolgenden Wortes ab: lo verwendet man, wenn das nachfolgende Wort mit z oder einer Verbindung aus s und einem weiteren Konsonanten beginnt, il vor allen übrigen Konsonanten. Ebenso verhält es sich mit den Mehrzahlformen le, i und gli.
Artikel
Kontext
Beispiel Singular
Beispiel Plural
la, le

vor Konsonant
la signora
le signore
l’, le
vor Vokal
l’amica
le amiche

Artikel
Kontext
Beispiel Singular
Beispiel Plural
il, i
vor Konsonant
il finestrino
i finestrini
lo, gli
vor x, y und z
lo xilofono
gli xilofoni


lo yogurt
gli yogurt


lo zaino
gli zaini

vor
lo spettacolo
gli spettacoli

Konsonant+Konsonant
lo gnomo
gli gnomi

(außer l oder r)
lo psicologo
gli psicologi


lo champagne
gli champagne

vor i/j+Vokal
lo iettatore
gli iettatori




l’, gli
vor Vokal
l’orologio
gli orologi

Eine Ausnahme bildet das Wort “dio”. Man sagt zwar “il dio”, aber “gli dei”. Dies ist laut dem entsprechenden Eintrag im Treccani auf die altitalienischen Forme “l’iddio” und “gli iddei” zurückzuführen. (http://www.treccani.it/enciclopedia/articoli-determinativi_%28La-grammatica-italiana%29/)
Übrigens: “Mario e Gianni sono gli amici con i quali esco molto spesso” ist ein korrekter Satz. Man sagt zwar “gli amici”, entscheidend für den Gebrauch des Artikels ist jedoch nicht der Anfangsbuchstabe des Substantivs, auf das sich der Artikel bezieht, sondern – wie gesagt – der des Wortes, welches dem Artikel unmittelbar nachgestellt ist, in diesem Falle “quali”.
Zu jedem der bestimmten Artikel gehört ein unbestimmter Artikel. Der weibliche unbestimmte Artikel una wird in denselben Situationen (hier: vor Wörtern, die mit einem Konsonanten beginnen) verwendet wie der weibliche bestimmte Artikel la. Ebenso verhält es sich mit den männlichen Artikeln: un entspricht il und uno entspricht lo.
Achtung: Die apostrophierte Form un’ (vor Vokalen) wird nur dann verwendet, wenn sie sich auf ein weibliches Substantiv bezieht. Die entsprechende männliche Form ist un. Un artista ist also ein Künstler, un’artista eine Künstlerin.
Kontext
Beispiel mit bestimmtem Artikel
Beispiel mit unbestimmtem Artikel
vor Konsonant
la signora
una signora
vor Vokal
l’amica
un’amica


Kontext
Beispiel mit bestimmtem Artikel
Beispiel mit unbestimmtem Artikel
vor Konsonant
il finestrino
unfinestrino
vor x, y und z
lo xilofono
uno xilofono

lo yogurt
uno yogurt

lo zaino
uno zaino
vor
lo spettacolo
uno spettacolo
Konsonant+Konsonant
lo gnomo
uno gnomo
(außer l oder r)
lo psicologo
uno psicologo

lo champagne
uno champagne
vor i/j+Vokal
lo iettatore
uno iettatore
vor Vokal
l’orologio
un orologio





2. Die Personalpronomen der dritten Person im Italienischen


Am 18. Dezember 2016 hat die Facebook-Seite „Italian Teacher“ diese Grafik veröffentlicht, deren Inhalt zwar die Konjugation des Verbs fare ist, die mich aber auf ein ganz anderes Thema gebracht hat:
"Egli (lui-lei)"? "Essi (loro)"?
Personalpronomen der dritten Person in BERTINELLI (1938)
Zu diesem Thema kann sich ein Blick in die Neue italienische Grammatik von Dr. AMELIA BERTINELLI als hilfreich erweisen. Hier findet man folgende Informationen:
1.   Für die dritte Person Singular maskulin (deutsch: er) gibt es im Italienischen zwei Personalpronomen: egli bzw. lui für Personen und esso für Gegenstände.
1.1  lui war ursprünglich die Genitiv-, Dativ- und Akkusativform von egli (siehe BERTINELLI 1938:220) und wird in bestimmten Kontexten auch in der Position des Satzsubjektes verwendet.
„ DRITTE PERSON.
männlich – maschile
egli, esso er
di lui, di esso seiner
a lui, ad esso (gli) ihm
lui, esso (lo) ihn “
2.   Für die dritte Person Singular feminin (deutsch: sie) gibt es im Italienischen zwei Personalpronomen: ella bzw. lei für Personen und essa für Gegenstände.
2.1  lei war ursprünglich die Genitiv-, Dativ- und Akkusativform von ella (siehe BERTINELLI 1938:220) und wird in bestimmten Kontexten auch in der Position des Satzsubjektes verwendet.
„ DRITTE PERSON.
[…]
weiblich – femminile
ella, essa sie
di lei, di essa ihrer
a lei, ad essa (le) ihr
lei, essa (la) sie “
2.2  Auch für die Höflichkeitsform Lei (dritte Person Singular) gibt BERTINELLI die Nominativform Ella an.
„ HŒFLICHKEITSFORM.
Ella Sie
di Lei Ihrer
a Lei (Le) Ihnen
Lei (La) Sie“
Die Nominativform Ella ist ebenfalls in dem als Vorwort fungierenden Brief von G.GABETTI (dem Direktor des Istituto Italiano di Studi Germanici) an BERTINELLI zu finden:
“Ho avuto più volte occasione di constatare l’utilità dell’insegnamento che Ella svolge attraverso la Radio per la diffusione della lingua italiana nei paesi tedeschi.”
3.   Für die dritte Person Plural (deutsch: sie) gibt es im Italienischen - neben dem üblichen loro - zwei Personalpronomen: essi (maskulin) und esse (feminin). Diese können sowohl für Personen als auch für Gegenstände verwendet werden.
3.1  loro war ursprünglich eine Genitiv-, Dativ- und Akkusativform sowohl von essi als auch von esse (siehe BERTINELLI 1938:220) und wird in bestimmten Kontexten auch in der Position des Satzsubjektes verwendet.
„ DRITTE PERSON.
männlich – maschile
[…]
essi sie
di loro, di essi ihrer
a loro, ad essi ihnen
loro, essi (li) sie “
weiblich – femminile
[…]
esse sie
di loro, di esse ihrer
a loro, ad esse ihnen
loro, esse (le) sie “
(BERTINELLI 1938:220)

Geschichtlicher Hintergrund
Weiter vorn im Buch äußert sich BERTINELLI ergänzend:
Egli und ella gebraucht man nur für Personen, sonst esso und essa (es). Bekanntlich hat die faschistische Regierung auf Veranlassung des Duce die bisherige Höflichkeitsformel Lei (3 Person Einzahl) abgeschafft und an dessen (sic!) Stelle das schöne, alte Voi (2 Person Mehrzahl Ihr) eingeführt. Da in der italienischen Sprache die Personen der Verben durch verschiedene Endungen gekennzeichnet sind, wird das persönliche Fürwort weggelassen. (Ausnahmen werden in den folgenden Lektionen erklärt.)“
Interessant ist hier, dass BERTINELLI nicht von der „bisherige[n] Höflichkeitsformel Ella“, sondern von der „bisherige [n] Höflichkeitsformel Lei“ spricht, daraus schließe ich, dass schon vor 1938 die Verwendung der Genitiv-, Dativ- und Akkusativform Lei im Nominativ üblich war. An der oben zitierten Passage aus GABETTIS Brief kann man jedoch erkennen, dass die Nominativform Ella zu dieser Zeit noch verwendet wurde.
Tatsächlich ist der Gebrauch der abhängigen Formen in der Funktion des Subjekts laut dem auf der Webseite der Academia della Crusca publizierten Artikel “Egli e lui soggetto” von Francesco Sabatini schon lange üblich, wurde aber von den Grammatikern (die ersten unter ihnen Fortunio und Bembo) als ungrammatisch betrachtet. Dies sollte sich erst ändern, als Manzoni die Formen lui, lei und loro in I Promessi Sposi (1840) verwendete.
Als Beispiel kann man eine in DIADORI (in POYATOS 1997) zitierte Textpassage anführen. (Das Zitat war ursprünglich dafür gedacht, als Beispiel für altmodische kinetische Handlungen zu dienen, ist aber für unsere Zwecke ebenso geeignet.)
“(…) l’Innominato passò; e davanti alla porta spalancata della chiesa, si levò il cappello e chinò quella fronte tanta temuta, fin sulla criniera della mula… Don Abbondio si levò anche lui il cappello, si chinò, si raccomandò al cielo.”
(Anstelle von anche lui hätten die Grammatiker wohl lieber anch’egli gesehen).

Gegenwärtige Situation
Die Verwendung der Formen "lui", "lei" und "loro" als Subjekt des Satzes sind immer dann korrekt, wenn:
a.   das Subjekt auch Thema des Satzes ist (schon eingeführt / als bekannt vorausgesetzt ist), wenn wir eigentlich so etwas wie per quanto riguarda lui/lei/loro oder etwas in der Art sagen wollen, was unter anderem gewiss dann der Fall ist, wenn das Subjekt in Verbindung mit anche, ancora, proprio, perfino, nemmeno, neanche, neppure, stesso, medesimo auftritt.
b.   das Subjekt auch Rhema des Satzes ist und einem Verb (oder ecco) nachgestellt ist, auch wenn das implizit geschieht, wie das z. B. in Wendungen wie contento lui ('se è contento lui'), non farò come lui ('...come fa lui'), beato lui! ('beato è lui!') und Antworten (Chi è stato? - Lui!) der Fall ist.

Quellen
Bertinelli, Amelia (1983): Neue italienische Grammatik. 2° edizione riveduta. Firenze, G.C. Sansoni.
Diadori, Pierangela: The translation of gestures in the English and German versions of Manzoni's / Promessi Sposi (S. 131ff.) In: Fernando Poyatos ed. (1997) Nonverbal Communication and Translation. Amsterdam/Philadelphia, John Benjamins
Sabatini, Francesco: Egli e lui soggetto:http://www.accademiadellacrusca.it/it/lingua-italiana/consulenza-linguistica/domande-risposte/soggetto (letzter Zugriff: 07. 10. 2018; Auszüge übersetzt von F. Andermann)
Anhang: Brief von G. GABETTI an A. BERTINELLI
Da dieser Brief einer der inspirierendsten Texte über Sprache und Grammatik ist, die ich in den letzten zwei Jahren gelesen habe, füge ich ihn hier ein in der Hoffnung, auf Gleichgesinnte zu treffen.
Roma, 9 Gennaio 1937 – XV.
Gent.ma Signorina,
Ho avuto più volte occasione di constatare l’utilità dell’insegnamento che Ella svolge attraverso la Radio per la diffusione della lingua italiana nei paesi tedeschi. E mi pare ottima l’idea di elaborare un particolare testo di Grammatica, in relazione alle particolari esigenze del Suo insegnamento.
Le migliaia di alunni che, lontani e invisibili, ascoltano ogni sera la Sua parola, avranno sempre bisogno di ricorrervi per riordinare le proprie cognizioni, superare le proprie incertezze. La lingua di un popolo è una cosa sola col suo modo di sentire e di pensare; e senza il possesso della struttura grammaticale – nei suoi elementi più essenziali e costanti – non è possibile penetrare nello spirito da cui la lingua trae, con le sue forme, la sua vita.
Mi creda, con i migliori auguri per la Sua opera,
Suo dev.mo
G. GABETTI
(Direttore dell’Istituto Italiano
di Studi Germanici)

2.1 Italian 3rd person pronouns - English version

Have you just come across lui, lei and loro so far and are now confronted with egli, ella, essi and esse?  Here is an overview of when to use which forms.
Egli and ella are the [+nominative] forms, lui and lei are the [-nominative] i.e. genitive, dative and accusative forms. (Same goes for essi (masculine) and esse (feminine) vs. loro). The [-nominative] forms can be used to refer to the subject of a sentence when
a. the subject is also theme (topic), that is, when you could also say per quanto riguarda lui/lei (which occurs mostly when the subject is accompanied by anche, ancora, proprio, perfino, nemmeno / neanche /neppure, stesso/medesimo


  • Example: anche lui ('also him' -> him as well) = anche per quanto riguarda lui  ('also for what regards him' -> also as far as he is concerned), so lui can be used.
By the way, Alessandro Manzoni was the first one to “legalise” this particular use of the [-nominative] forms by using anche lui in I Promessi Sposi:
“(…) l’Innominato passò; e davanti alla porta spalancata della chiesa, si levò il cappello e chinò quella fronte tanta temuta, fin sulla criniera della mula… Don Abbondio si levò anche lui il cappello, si chinò, si raccomandò al cielo.”
Excerpt taken from: Diadori, Pierangela: The translation of gestures in the English and German versions of Manzoni's / Promessi Sposi (S. 131ff.) In: Fernando Poyatos ed. (1997) Nonverbal Communication and Translation. Amsterdam/Philadelphia, John Benjamins.
b. the subject is also rheme (comment), which is when it comes after the verb (or would come after the verb if the verb hadn't been omitted, as it occurs in ellipses like beato lui [beato è lui - 'blessed is he' -> he's a lucky bastard]).


  • Example with verb: me l'ha detto lui ('me it has told he [-nom]' -> it was him/he who told me).
When the subject is neither theme nor rheme, the nominative forms are obligatory (ella sounds so old-fashioned, though, that it is often substituted by lei in these cases as well). In these situations, however, the pronouns can often be omitted (as Italian is a pro-drop language) or when it is necessary to explicitly refer to the subject (e.g. for avoiding ambiguity), names are preferred over pronouns. This is why, as many Italians will tell you, you don't really encounter the nominative forms except when conjugating verbs.
One last thing: egli (lui) and ella (lei) may only  be used to refer to persons and personified subjects (or objects) - for all other kinds of referents you have to use esso (masculine) or essa (feminine). Likewise, as far as I know, subjects or objects that are neither persons nor personified may not be referred to as loro but only as essi (masculine) or esse (feminine).
Source (the best you can get for grammar questions): http://www.accademiadellacrusca.it/.../domande.../soggetto



3. Gli, le, loro

Drei kleine unscheinbare Dativobjektpronomen – und doch bereiten sie nicht nur Ausländern, sondern auch vielen Italienern große Pein. Eins von ihnen – gli – ist nämlich im Begriff, die anderen beiden zu verdrängen. Bei loro ist ihm das auch gelungen, bei le aber (noch) nicht.
Es war einmal, da hatte jedes der drei Pronomen seinen festen Platz: gli bezeichnete die dritte Person Singular maskulin, le die dritte Person Singular feminin und (a) loro die dritte Person Plural. So hat es auch Dr. Amelia Bʀɪɴʟʟɪ 1938 in ihrer Neuen Italienischen Grammatik niedergeschrieben:
a lui, ad esso (gli) ihm
a lei, ad essa (le) ihr
a loro, ad essi ihnen“
Nun hat es mit loro eine besondere Bewandtnis. Werden die Dativobjektpronomen in Verbindung mit Verben verwendet, so werden sie diesen für gewöhnlich vorangestellt, loro muss dem Verb jedoch immer nachgestellt werden.
(1)   ich sage ihm – gli dico wörtlich: („ihm sage [ich]“)
(2)   ich sage ihr – le dico (wörtlich: „ihr sage [ich]“)
(3)   ich sage ihnen – dico loro (wörtlich: „sage [ich] ihnen“)
Eine solche Ausnahme muss den Italienern wohl zu anstrengend gewesen sein, jedenfalls haben sie – und zwar nicht nur das Volk, sondern auch die Gelehrten und Schriftsteller – immer wieder gli anstelle von loro verwendet, so dass schließlich die Accademia della Crusca den Gebrauch des Dativobjektpronomens gli in der dritten Person Plural als grammatisch richtig erklärt hat. Viele gebildete Italiener protestieren dagegen, müssen es aber letzten Endes zähneknirschend hinnehmen.
Auch für die Verwendung von gli in der dritten Person Singular feminin – anstelle von le - finden sich Beispiele nicht nur im mündlichen Sprachgebrauch, sondern auch in literarischen Texten. Dennoch wird sie von der Accademia della Crusca weiterhin als inkorrekt angesehen.
Der entsprechende Artikel der Accademia della Crusca findet sich unter: http://www.accademiadellacrusca.it/it/lingua-italiana/consulenza-linguistica/domande-risposte/uso-per
Grammatisch richtig ist also
·         gli in der Bedeutung von ihm
·         gli in der Bedeutung von ihnen
aber NICHT gli in der Bedeutung von ihr.
Folglich kann gli dico sowohl ich sage ihm‘ als auch ‚ich sage ihnen‘ heißen, niemals aber ‚ich sage ihr‘.


Und ebenso bedeutet “gli piace il caffè” sowohl „er mag Kaffee“ als auch „sie mögen Kaffee“, niemals aber „sie mag Kaffee“.

Sgrammitaliano

4. Scusa oder Scusi? Der Imperativ im Italienischen

„Wenn man auf der Straße einen wildfremden Menschen ansprechen muss, sagt man dann scusa oder scusi“?
Als meine Mutter vor zwei Jahren diese Frage an mich richtete, war ich etwas perplex, hätte ich doch nicht gedacht, dass jemand mit den regelmäßigen Imperativformen im Italienischen Schwierigkeiten haben könnte. Anscheinend bereitet der Imperativ jedoch auch anderen Ausländern Probleme.
Es ist vielleicht schwer zu glauben, aber als ich noch jünger war, hatte ich eine Heidenangst vor der italienischen Sprache und habe mich trotz jährlichen Familienurlaubs in der Toskana sechzehn Jahre lang erfolgreich geweigert, Italienisch zu lernen. Die Langenscheidt-Italienisch-Sprachkalender, die immer bei uns zuhause herumlagen, habe ich allerdings mit Feuereifer gelesen, vermutlich deshalb, weil ich mit elf Jahren ohnehin an keinem mit Buchstaben bedruckten Papier vorbeigehen konnte, ohne es zu verschlingen und dessen Inhalt, so er interessant war, für die nächsten zehn Jahre in meinem Gedächtnis abzuspeichern. So auch die Imperativregel:
Bei Verben auf -are lautet der Imperativ in der normalen Form auf -a, in der Höflichkeitsform dagegen auf -i.
Beispiel: parlare – (tu) parla – (Lei) parli
Bei Verben auf -ere und -ire lautet der Imperativ in der normalen Form auf -i, in der Höflichkeitsform dagegen auf -a.
Beispiel: sentire – (tu) senti – (Lei) senta
Hier zeigt sich wieder einmal, wie logisch die italienische Sprache sein kann: Für die vertrauliche Anrede mit „tu“ endet die Imperativform mit dem Vokal, welcher der Infinitivendung näher ist, für das distanziertere „Lei“ dagegen endet die Imperativform auf dem von der Infinitivendung entfernteren Vokal.
Wenn man also einen wildfremden Menschen anspricht, ist man also mit „scusi“ auf der sicheren Seite, ist der Mensch allerdings jung, so kann man getrost „scusa“ sagen.

5. Apostrophe im Italienischen

Apostrophe sind , so scheint’s, in mehreren Sprachen eine ziemlich heikle Angelegenheit. Während Bsɪɴ Sɪᴄᴋ in seiner Zwiebelfisch-Kolumne (http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-deutschland-deine-apostroph-s-a-283728.html) vor dem alles verheerenden Häk’chen-Hagel warnt und dafür plädiert, statt ‘Ich sing’ ein Lied’ und ‘Mir geht’s gut’ doch ‘Ich sing ein Lied’ und ‘Mir gehts gut’ zu schreiben, muss seine italienische Amtskollegin Fɪʀʟʟ Aᴛᴢᴏʀɪ von Sgrammaticando darauf bestehen, dass bei jeder Auslassung ein Apostroph gesetzt wird, zumal durch Weglassen des Häkchens ein Wort bisweilen mit einem ganz anderen verwechselt werden kann: ‘sto und ‘sta sind eindeutig Abkürzungen von questo und questa, ohne das Apostroph sind sie aber von der ersten und dritten Person Singular des Verbs stare nicht zu unterscheiden (io sto, egli sta).
Anders als im Katalanischen, wo es stets so weit rechts wie möglich gesetzt werden muss (z.B. me + en + he + de + anar -> me n’he d’anar), steht das Apostroph im Italienischen immer genau dort, wo etwas ausgelassen wurde - es ist, wie Mʀɪɴɴ Mʀɪɴ und Mʀᴄᴏfieri in Scrivere ganzo!: Consigli per comunicare alla grande dal romanzo all’on-line (auf Google Play als E-Book erhältlich: https://play.google.com/store/books/details/Marianna_Martino_Scrivere_ganzo?id=9AiBCgAAQBAJ) schreiben,  die Träne, die zurück bleibt, wenn man von einem Wort etwas abschneidet.
Schreibt man also ce n’è, c’è ne, cè nè oder c’è n’è? Zugegeben, auch ich habe damit manchmal Schwierigkeiten, aber gerade haben wir ja gesehen, wie man sich das herleiten kann. Die Wendung besteht aus drei Wörtern: ci (dort), welches zu ce wird,  ne (davon) und è (ist),  vgl. ce ne sono (‘dort davon sind’). Allerdings sind zwei es hintereinander schwer auszusprechen und es klingt auch nicht schön. Um das zu vermeiden (in der Phonologie würde man sagen: zur Vermeidung der Adjazenz [= des Hintereinanderstehens] zweier identischer / ähnlicher Vokale), wird das e von ne abgeschnitten und ein Apostroph bleibt als Träne zurück, man schreibt also n’è. Nun braucht man nur noch ce davor zu setzen und fertig ist die Laube.
Wie im Deutschen und Französischen, so sind auch im Italienischen Apostrophe nicht mit Akzenten zu verwechseln. La vita e’ bella und alla tua eta’ sind genauso grässlich zu lesen wie die Belle E’poque. Auch bei VERSALIENSCHREIBUNG dürfen Akzente im Italienischen weder durch Apostrophe ersetzt noch (wie im Französischen) weggelassen werden. Ebensowenig dürfen jedoch Apostrophe durch Akzente ersetzt werden: un po’ ist eine Abkürzung von un poco. Die Träne, die das abgeschnittene -co hinterlässt, würde es sich im Traum nicht einfallen lassen, nach links auf das o zu rutschen und fühlt sich daher jedes Mal, wenn (vor allem) Italiener *un pò schreiben, grässlich missverstanden. (Anmerkung: Der Stern [*] oder Asterisk, wie ihn die Fachleute nennen, steht vor ungrammatischen oder rekonstruierten Formen).
Bei bestimmten Wörtern darf allerdings ein e am Ende wegfallen, ohne dass ein Apostroph gesetzt werden darf (wobei einige Italiener dies fälschlicherweise tun). Zu diesen Wörtern gehören Verben wie avere, dire, volere, aber auch Pronomen wie quale. Alle diese Wörter haben gemeinsam, dass sie flektiert (dekliniert oder konjugiert) werden können, also verschiedene Endungen haben und das e nicht zum Stamm des Wortes gehört, sondern eine Endung ist, die bei der Flexion (Deklination oder Konjugation) durch andere Endungen ersetzt wird. Bei dire wird zum Beispiel das e in der dritten Person Singular des einfachen Futurs durch ein à ersetzt (egli dirà). Ebenso wird quale im Plural zu quali, zum Beispiel in der Frage Quali sono le differenze tra un cocodrillo e un alligatore?Eine Antwort auf diese knifflige Frage wissen die Angelsachsen: Es kommt darauf an, ob das Tier einen später oder in einer Weile sieht.

See you later, alligator - In a while, crocodile.

Diese Antwort legt nahe, dass es sich dabei nur um einen Unterschied handelt. Wenn wir dies schon ahnen und bloß noch nicht wissen, welcher Unterschied es ist, können wir dies nun auch korrekt ausdrücken: Qual è la differenza tra un cocodrillo e un alligatore. Keine Tränen diesmal - die hat nämlich schon das Krokodil vergossen. Und auch wenn es nicht um Krokodile geht, hinterlässt das e von quale keine Apostroph-Träne, denn es wird nicht abgeschnitten, sondern eher abgeschraubt - oder ausgesteckt - und ob man nun eine andere Endung hineinschraubt bzw. -steckt oder nicht ist egal, nichts von beidem tut weh. (Dieses Abschrauben von Endungen und Reduzieren auf den Stamm bezeichnen die Italiener als troncamento, jegliche andere Form der Auslassung von Lauten hingegen als elisione).
Doch Obacht: Dov’è [il bagno] schreibt man immer noch mit Apostroph, da dove nicht deklinierbar ist (keine verschiedenen Endungen hat), das e also zu dove gehört wie die Fingerkuppe zum Finger. Wenn es abgeschnitten wird, bleibt daher eine Träne zurück.

 

6. Vivi nel passato - Zeiten der Vergangenheit im Deutschen und Italienischen



Während das Deutsche mit drei und das Russische sogar mit nur einer Vergangenheitsform auskommt, gibt es im Italienischen gleich fünf Zeiten der Vergangenheit: passato prossimo, passato remoto, imperfetto, trapassato prossimo und trapassato remoto. Warum ist das so? Weil das Russische zwischen zwei Dingen strikt trennt, die im Deutschen kaum noch unterschieden werden und in romanischen Sprachen wie dem Italienischen völlig miteinander verwoben sind: Tempus, zu deutsch Zeit, und Aspekt, also ob eine Handlung abgeschlossen ist (vollendeter Aspekt) oder nicht (unvollendeter Aspekt).
 
Wenn ich sage: Max hat einen Brief geschrieben, dann ist ganz klar, dass Max nicht mehr daran schreibt, die Handlung des Briefschreibens ist eindeutig vorbei. Sage ich aber: Max schrieb einen Brief, dann kann man sich Max mitten im Schreiben vorstellen, man sieht förmlich seine gedankenumwölkte Stirn, seine rechte - oder linke - Hand, die den Bleistift oder Füllfederhalter führt und das Papier, das sich mit Buchstaben füllt, welche sich zu Wörtern und Sätzen verbinden.


Das Ganze verschärft sich, wenn ich diesen beiden Sätzen das kleine (Umstands-) Wörtchen gerade beimische. Dieses nimmt nämlich je nach der im Satz verwendeten Zeitform leicht unterschiedliche Bedeutungen an: In Max hat gerade einen Brief geschrieben zeigt gerade an, das die Handlung des Briefschreibens nicht weit zurückliegt, sondern vor wenigen Minuten erst abgeschlossen worden ist. In Max schrieb gerade einen Brief sagt gerade hingegen aus, dass Max tatsächlich mitten im Schreiben war. Gerade hat in einem Satz im Präteritum also dieselbe Funktion wie die englische Verlaufsform: Max was writing a letter. Und sowohl Max schrieb gerade einen Brief als auch Max was writing a letter fühlen sich ein wenig an wie in der Schwebe: man erwartet eigentlich, dass noch eine weitere Handlung hinzukommt, wie zum Beispiel: ...als sein Vater in das Zimmer trat.


Deshalb hat man uns in der Schule beigebracht, dass das Perfekt eine abgeschlossene Handlung und das Präteritum eine andauernde oder wiederholte Handlung in der Vergangenheit bezeichnet. Bisweilen wird das Präteritum ja auch Imperfekt genannt, weil es den unvollendeten, imperfektiven Aspekt in der Vergangenheit beschreibt.  Wenn ich mich recht entsinne, so haben Perfekt, Präteritum und Plusquamperfekt - das ist die dritte Vergangenheitsform, die wir bisher haben links liegen lassen - auch deutsche Namen: Das Perfekt wird vollendete Gegenwart genannt (ebenso wie das englische Perfekt als present perfect bezeichnet wird), das Präteritum andauernde Vergangenheit oder Erzählvergangenheit und das Plusquamperfekt vollendete Vergangenheit oder Vorvergangenheit. Dabei wird nun auch der Unterschied zwischen Perfekt und Plusquamperfekt deutlich: Eine Handlung im Perfekt ist in der Gegenwart abgeschlossen, eine Handlung im Plusquamperfekt (Max hatte einen Brief geschrieben) dagegen schon in der Vergangenheit, sie war schon abgeschlossen, bevor etwas anderes geschah. Oder geschehen ist? Da liegt der Hase im Pfeffer: Man kann ein Ereignis im Perfekt als eine Reihe abgeschlossener Handlungen beschreiben oder aber im Präteritum davon erzählen, wie diese Handlungen mitten im Gange sind. In letzterem Falle wird die Erzählung lebendiger, daher bietet sich das Präteritum als Erzählvergangenheit an und heißt dementsprechend auch so. In der gesprochenen Sprache ist allerdings die nüchternere Erzählweise im Perfekt üblich.
Da Menschen nun einmal dazu neigen, Dinge zu vereinfachen, haben sie die Trennlinie zwischen vollendetem und unvollendetem Aspekt immer mehr verbleichen lassen und aus dem einst semantischen (inhaltlichen) Unterschied zwischen Perfekt und Präteritum einen stilistischen Unterschied gemacht: Das Perfekt wird der gesprochenen Sprache und vor allem der Umgangssprache zugeordnet, das Präteritum hingegen der Schriftsprache. Daher plädiert Bastian Sick wohl auch dafür, die alternative Bezeichnung Imperfekt nicht (mehr) zu verwenden (er selbst macht aber häufig davon Gebrauch).
In ihrem Übereifer, der Jugend die Umgangssprache auszutreiben und den “höheren” Schriftstil einzutrichtern, gingen (!) manche Deutschlehrer wohl gar so weit, das Perfekt generell zu verfemen. So schreibt Christine Nöstlinger in dem Jugendroman Einen Vater hab ich auch:
Schließlich, in der fünften Stunde, hatte ich die Lösung. Deutsch-Stunde war, der Huber, unser Deutschlehrer, dozierte gerade darüber, dass der gebildete Mensch nicht nur, wenn er schreibt, sondern auch, wenn er spricht, nicht das Perfekt, sondern das Imperfekt zu benutzen habe, da fiel mir plötzlich ein: Ich fahre nach München zur Mama!”

Vielleicht deshalb kommt das im mündlichen Sprachgebrauch totgeglaubte Präteritum kurioserweise wieder in Mode, vor allem unter Zugereisten in Großstädten, die krampfhaft versuchen, ihre Herkunft zu verbergen und gebildet zu klingen.

Umso schwieriger mag es einem Deutschen erscheinen, sich in dem italienischen Zeitformensystem zurechtzufinden, das nicht nur zwei Vergangenheitszeiten mehr aufweist als das deutsche, sondern die meisten dieser Zeitformen auch heutzutage tatsächlich nach grammatischen Kriterien unterscheidet.

Versuchen wir also etwas Ordnung in das Zeitenwirrwarr zu bringen. Wie das Deutsche (einst), so trennt das Italienische zwischen abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Handlungen einerseits und einfacher Vergangenheit und Vorvergangenheit andererseits, wobei Handlungen in der Vorvergangenheit - wieder wie im Deutschen - stets abgeschlossen sind. Nur hat das Italienische in der einfachen abgeschlossenen Vergangenheit ebenso wie in der Vorvergangenheit zwei Zeitformen statt einer.
Die andauernde Vergangenheitsform, das imperfetto, entspricht weitgehend dem deutschen Imperfekt, wie es ursprünglich verwendet wurde und von wirklich gebildeten Menschen noch verwendet wird (ein wenig Präskriptivismus sei mir hin und wieder gestattet). Es wird verwendet, um Dauer oder Wiederholung in der Vergangenheit wiederzugeben, wobei die Wiederholung auch eine Art der Dauer ist. Betrachtet man die Sätze La pioggia cadeva ininterrottamente da due giorni und Venivano a trovarci quasi tutte le settimane, so stellen die Ereignisse in beiden Sätzen etwas Beständiges dar. Und wenn man sichs recht bedenkt, so sagt man im Deutschen ja auch: Mein Großvater mütterlicherseits pflegte zu sagen: Fenster werden erst geputzt, wenn man nichts mehr durchhören kann, und nicht Mein Großvater mütterlicherseits hat gepflegt zu sagen…
Das imperfetto drückt also den unvollendeten Aspekt aus, will sagen, es dient dazu, nicht abgeschlossene Handlungen zu beschreiben. Ein Satz wie Ieri tornavo a casa fühlt sich nicht vollständig an, sondern bleibt in der Luft hängen, gerade so wie unser deutscher Satz Max schrieb gerade einen Brief. Erst durch ein weiteres Ereignis wird der Satz vollständig und man kann beruhigt schlafen gehen: Ieri tornavo a casa quando ho incontrato Mario; Massimo scriveva una lettera quando entrò suo padre.
Anders als im Deutschen muss dabei im Italienischen die hinzukommende Handlung im Perfekt (passato prossimo oder passato remoto) beschrieben werden. Ein Satz oder Abschnitt mit mehreren Ereignissen im imperfetto erweckt nämlich im Italienischen den Eindruck einer statischen Szene, in der alle Handlungen gleichzeitig stattfinden, wie etwa in: La stazione era deserta. Carlo indossava un soprabito scuro. L’orologio segnava le venti e trenta. 
In literarischen und journalistischen Texten kann das imperfetto allerdings - wie das deutsche Imperfekt - auch verwendet werden, um von einer Folge abgeschlossener Handlungen zu erzählen, als wäre sie mitten im Gange (imperfetto narrativo):
 
 
Nel ribollire della disamistade cadevano le elezioni regionali del 51, i candidati democristiani disertavano in piazza, la frequentavano invece i comunisti
(L. Sciascia, Le parrocchie di Regalpetra)
Allo scoccare della mezzanotte l’assassino entrava di soppiatto in casa delle vittime
Al ventisettesimo minuto della ripresa il centravanti raccoglieva un abile invito del numero 10 e metteva in rete
Dies ist nicht der einzige Fall, in dem das imperfetto außerhalb seines Reviers unterwegs ist, bisweilen übernimmt es gar Funktionen, die anderen Modi als dem Indikativ eigen sind. Hat man beispielsweise in einer hitzigen Diskussion über Politik, Religion oder die neueste Reform der Accademia della Crusca (die übrigens wörtlich übersetzt Akademie der Kleie heißt) ein paar unschöne Dinge gesagt, bekommt man vielleicht später von einem Freund zu hören: Facevi meglio a stare zitto. Vielleicht fällt dem Freund aber auch ein, dass man ja Ausländer ist und zuerst einmal die Schriftsprache lernen sollte, und er korrigiert sich: Avresti fatto meglio a stare zitto. Diesen im mündlichen Italienisch auftretenden Gebrauch des imperfetto anstelle des condizionale passato (oder condizionale composto) nennt man imperfetto ipotetico, und tatsächlich kann der Satz Avresti fatto meglio a stare zitto als verkürzte Form eines periodo ipotetico, eines italienischen Konditionalsatzes, angesehen werden (Se fossi stato zitto avresti fatto meglio). Mitunter werden auch ganze periodi ipotetici ins imperfetto ipotetico versetzt, wie z.B. bei Eugenio Montale:
Dicono che la mia
sia una poesia d’inappartenenza
Ma s’era tua era di qualcuno,
di te, che non sei più forma, ma essenza.
Böse Zungen behaupten, dies geschehe nur, um den berühmt-berüchtigten congiuntivo zu vermeiden:
-          E tu chi sei?
-          Il congiuntivo.
-          E chi ti ha rotto?
-          Tu.
-          Ma se ero stato io lo sapevo!
-          Appunto.
Das imperfetto wird dabei allerdings ausschließlich für periodi ipotetici dell’irrealtà (Typ-3-Konditionalsätze) verwendet, also genau dann, wenn die beschriebene Handlung deswegen hypothetisch ist, weil es zu spät ist, als dass sie eintreffen könnte. Wie der Volksmund sagt: Hätte, hätte, Fahrradkette.
Im Deutschen wird das Präteritum übrigens mit derselben Bedeutung verwendet. So pflegte (und nicht: hat gepflegt!) meine Mutter, wenn ich wieder einmal aus Unachtsamkeit etwas gesagt oder getan hatte, das ihr nicht passte, mit gar vorwurfsvoller Stimme zu sagen: Das konntest du wissen, Felicitas! Manchmal änderte sie diesen Satz, der sich mir schmerzlich eingebrannt hat, aber auch leicht ab und sagte: Das hättest du wissen können!
Einen weiteren Streifzug außerhalb seines Reviers unternimmt das imperfetto, wenn es darum geht, Träume die Handlung eines literarischen Werkes zu erzählen (imperfetto irreale):
Poi entravo in un’enorme sala a specchi; dopo alcuni secondi le pareti iniziavano a muoversi verso di me

aber auch Geschichten oder Spiele, wie sie sich Kinder ausdenken (imperfetto ludico):
Allora, facciamo che io ero il papà e tu la mamma.
Im Deutschen nimmt man zum Erzählen von Träumen und (kindlichen) Phantasien ja eher den Konjunktiv, sollte man meinen. Wenn sich Kinder Spiele ausdenken, reden sie aber auch im Präsens. So heißt es in einem Lied von Christiane Knauf und Frederik Vahle:
 
Der Peter ruft, jetzt spielen wir mal Arbeiter und Boss, 
der Olaf ist der Vorarbeiter, der ist stark und groß,
ich selber bin der reiche Mann, der alles hier besitzt,
und ihr, ihr seid die Arbeiter, ihr arbeitet und schwitzt.
Um von Träumen zu erzählen, kann man neben dem Konjunktiv durchaus auch das Präteritum verwenden (Ich hab geträumt, im blauen Raum / da wuchs ein goldner Sternenbaum).Und wenn uns auch in der Schule beigebracht wird, dass man zur Wiedergabe der Handlung eines literarischen Werkes das Präsens benützen soll, so greifen wir doch im Mündlichen oft zu einer Vergangenheitszeit, und ich vermeine, meine Klassenkameraden aus der hessischen Rhön hätten sogar den Konjunktiv gebraucht.
 
Schließlich eignet sich das italienische imperfetto auch dazu, den fordernden Charakter einer Frage oder Bitte abzumildern:

- Che cosa desiderava, signora?
- Mah, volevo due etti di prosciutto.
 
Dieses Phänomen heißt im Italienischen auch imperfetto attenuativo (milderndes Imperfekt) und hat seine Entsprechung im deutschen “Imperfekt der Höflichkeit”, wie Bastian Sick es nennt:

- Guten Tag, ich hatte einen Tisch für zwei Personen reserviert.    
-  Entschuldigung, wie war noch mal Ihr Name?
Bis hierhin war alles ja noch relativ einfach. Etwas kniffliger wird es beim Perfekt. Hier gilt es nämlich im Italienischen zwischen passato prossimo und passato remoto zu unterscheiden. Die Namen dieser Zeitformen sind, wie Dardano und Trifone in der Grammatica italiana con nozioni di linguistica zugeben, etwas irreführend gewählt, sie lassen nämlich vermuten, dass das passato prossimo Ereignisse beschreibe, die sich gerade erst zugetragen haben, und das passato remoto solche, die zeitlich weiter zurück liegen. Tatsächlich geht es bei der Frage, ob man nun das passato prossimo oder das passato remoto nimmt, aber darum, ob eine Handlung noch einen Bezug zur Gegenwart hat oder bereits Geschichte ist. In letzterem Falle liegt die Handlung für unser Empfinden weiter zurück als in ersterem, daher sprechen Dardano und Trifone im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen passato prossimo und passato remoto auch von “psychischer Aktualität” (attualità psicologica).
Während mit dem passato remoto abgeschlossene Handlungen in der Vergangenheit ohne Bezug zur Gegenwart beschrieben werden, wird das passato prossimo verwendet, um eine Handlung wiederzugeben, die entweder in der Vergangenheit begonnen hat und in der Gegenwart andauert: Due giorni fa ho preso una brutta influenza (e ancora ne soffro), oder die selbst zwar abgeschlossen ist, deren Auswirkungen sich aber bis in die Gegenwart erstrecken: Margherita A. si è laureata in Lettere (e si può far chiamare dottoressa).
Das Geburtsdatum eines noch lebenden Menschen gibt man dementsprechend im passato prossimo an (Marco è nato nel 1943), dasjenige eines Verstorbenen dagegen immer im passato remoto (Manzoni nacque nel 1785).
Man kann also ein und dasselbe Ereignis in drei unterschiedlichen Zeitformen wiedergeben und dabei unterschiedliche Aspekte (im gemeinsprachlichen wie im linguistischen Sinne) hervorheben: In Moravia scrisse Gli indifferenti dal 1925 al 1928 liegt der Fokus auf Anfang und Ende der Handlung, Moravia scriveva Gli indifferenti tra il 1925 e il 1928 unterstreicht den Verlauf der Handlung im angegebenen Zeitraum und Moravia ha scritto Gli indifferenti bedeutet, dass es das Buch gibt und man es lesen kann und drückt damit sowohl die Abgeschlossenheit der Handlung als auch ihren Bezug zur Gegenwart aus.
So genau nimmt man den Unterschied zwischen passato prossimo und passato remoto allerdings nur in der Schriftsprache und im toskanischen Italienisch. In Norditalien (und auch schon in der nördlichen Toskana) verwendet man in der gesprochenen Sprache anstelle des passato remoto das passato prossimo und sagt beispielsweise: L’anno scorso sono andato a Venezia. Dies hat ja durchaus seinen Sinn, denn indem man von der Reise nach Venedig erzählt, stellt man einen Bezug zur Gegenwart her (Letztes Jahr bin ich nach Venedig gefahren, also kann ich jetzt davon erzählen). Dadurch verschiebt sich im Norditalienischen der Unterschied zwischen passato prossimo und passato remoto immer mehr vom Inhalt zum Stil - wie im Deutschen der Unterschied zwischen Perfekt und Präteritum - und das passato remoto gilt im Norden als rein schriftsprachliche, wenn nicht gar archaisch-literarische Zeitform. (Wer Französisch spricht, der mag darin eine Parallele zum passé simple sehen).  In Süditalien ist das Ganze genau umgekehrt, dort sagt man Ieri nevicò um auszudrücken, dass es sich dabei nun wirklich um Schnee von gestern handelt. Auch Sätze wie Arrivai un quarto d’ora fa sind im Süden durchaus üblich.
Eine Verwendung des passato prossimo, die ich bisher unterschlagen habe, findet man jedoch im Norden wie im Süden gleichermaßen. Wie das imperfetto ist das passato prossimo außerhalb seines Reviers jagen gegangen und hat eine Funktion des futuro anteriore (das dem deutschen Futur II entspricht) erbeutet. Als es kurz davor war, sich auf die Beute zu stürzen und sie zu reißen, dachte es sich: Un ultimo sforzo e ho finito (=avrò finito). Diese Verwendung findet das deutsche Perfekt ebenso: Nur noch zwei Zeitformen müssen wir uns ansehen, kann ich an dieser Stelle sagen, dann haben wir es geschafft (Dann werden wir es geschafft haben sagt nun wirklich kaum einer).
Die beiden übrigen Zeitformen sind diejenigen der Vorvergangenheit, nämlich trapassato prossimo und trapassato remoto. Das trapassato prossimo drückt dabei - wie das deutsche Plusquamperfekt - eine Handlung aus, die schon abgeschlossen war, bevor eine weitere Handlung in der Vergangenheit stattfand oder stattgefunden hat: Mi ero appena addormentato quando bussarono alla porta.
Zudem gibt es das trapassato prossimo gleich dem imperfetto im mündlichen Italienisch auch als trapassato prossimo ipotetico (Se non mi fossi ammalato a quest’ora avevo già terminato gli esami) und als trapassato prossimo attenuativo, um ein Anliegen vorsichtig zu formulieren (Buongiorno, ero venuto per chiederLe una cortesia).
 
Das trapassato remoto, der kleine verkrüppelte Bruder des trapassato prossimo, bezeichnet ebenfalls eine in der Vergangenheit abgeschlossene Handlung, die aber zusätzlich vor einer abgeschlossenen Handlung ohne Bezug zur Gegenwart, erfolgt sein  muss. Während das trapassato prossimo sowohl in Haupt- als auch in Nebensätzen auftauchen kann, findet man das trapassato remoto heute nur in Nebensätzen, die mit quando, dopo che, non appena, appena (che) beginnen, und das auch nur, wenn der Hauptsatz, auf den sich diese Nebensätze beziehen, im passato remoto steht: Non appena se ne fu andato, vennero a cercarlo.

Das sind sie, die Zeiten der Vergangenheit. Nun soll man, wie in so ziemlich jedem Lebensratgeber steht, nicht zu sehr in der Vergangenheit leben, sondern sich auf die Gegenwart konzentrieren. Ansonsten ist man womöglich damit beschäftigt, sich seine alten Fehler übelzunehmen, und macht gerade deshalb neue Fehler. Im Italienischen reimt sich das sogar:
Vivi nel passato
Ti disprezzi per aver sbagliato
Sbagli di nuovo perché vivi nel passato.
 
 
 

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